Plat.Pol.565d-566a Protokoll zum 21.07.2024

Zur Vorbereitung des Herodot-Zitats in 566c
Herodot.1.55.1 f.

ἐπειρώτα δὲ [ὁ Κροῖσος] τάδε χρηστηριαζόμενος,
Es fragte aber Kroisos folgendes beim Orakel an,

εἴ οἱ πολυχρόνιος ἔσται ἡ μουναρχίη.
ob ihn die Monarcie langdauernd sein werde.

ἡ δὲ Πυθίη οἱ χρᾷ τάδε.
Die Pythia weissagt ihm folgendes:

ἀλλʼ ὅταν ἡμίονος βασιλεὺς Μήδοισι γένηται,
Ja, wenn ein Maulesel den Medern König wird,

καὶ τότε, Λυδὲ ποδαβρέ, πολυψήφιδα παρʼ Ἕρμον
dann auch, zartfüßiger Lyder, <musst du> zum steinreichen Hermos

φεύγειν μηδὲ μένειν μηδʼ αἰδεῖσθαι κακός εἶναι.
fliehen und nicht bleiben und nicht scheuen, feige zu sein.

τούτοισι ἐλθοῦσι τοῖσι ἔπεσι
über diese <zu ihm> kommenden Worte

ὁ Κροῖσος πολλόν τι μάλιστα πάντων ἥσθη,
freute sich Kroisos sehr <und> am meisten von allen

ἐλπίζων ἡμίονον οὐδαμὰ ἀντʼ ἀνδρὸς βασιλεύσειν Μήδων,
in der Hoffnung, ein Maulesel werde niemals anstelle eines Mannes König der Meder sein,

οὐδʼ ὦν αὐτὸς οὐδὲ οἱ ἐξ αὐτοῦ παύσεσθαι κοτὲ τῆς ἀρχῆς.
und weder er selbst noch seine Nachfahren würden jemals aufhören zu herrschen.

Herodot.1.91.5 (Pythia anwortet auf Kroisos‘ Beschwerde über die falschen Orakel)
„ ... τῷ καὶ τὸ τελευταῖον χρηστηριαζομένῳ εἶπε Λοξίης περὶ ἡμιόνου,
auch zu dem am Ende Nachfragenden sprach Loxias über den Maulesel,

οὐδὲ τοῦτο συνέλαβε. ἦν γὰρ δὴ ὁ Κῦρος οὗτος ἡμίονος·
und er begriff das nicht. Es war nämlich nun Kyros dieser Esel;

ἐκ γὰρ δυῶν οὐκ ὁμοεθνέων ἐγεγόνεε,
denn er kam von zweien nicht desselben Volkes zur Welt,

ἣ μὲν γὰρ ἦν Μηδὶς καὶ Ἀστυάγεος θυγάτηρ τοῦ Μήδων βασιλέος,
die (eine) Mutter nämlich war Mederin und Astyages‘ Tochter, des Königs der Meder,

ὁ δὲ Πέρσης τε ἦν καὶ ἀρχόμενος ὑπʼ ἐκείνοισι
der (andere) Perser und beherrscht von jenen

καὶ ἔνερθε ἐὼν τοῖσι ἅπασι δεσποίνῃ τῇ ἑωυτοῦ συνοίκεε.”
und als ihnen allen Untertan heiratete er seine Herrin.

 

Dann der Platon-Text:
Ich habe einiges noch überarbeitet und mit Mehrfachübersetzungen versehen.

τίς ἀρχὴ οὖν μεταβολῆς ἐκ προστάτου ἐπὶ τύραννον;
Was also ist der Ursprung der Veränderung vom Anführer hin zum Tyrann? 

ἢ δῆλον ὅτι ἐπειδὰν ταὐτὸν ἄρξηται δρᾶν ὁ προστάτης
Oder ist es offensichtlich, dass, sobald der Anführer dasselbe zu tun beginnt

τῷ ἐν τῷ μύθῳ
wie der <Mann> in der Geschichte,

ὃς περὶ τὸ ἐν Ἀρκαδίᾳ τὸ τοῦ Διὸς τοῦ Λυκαίου ἱερὸν λέγεται;
die über das Heiligtum des Zeus Lykaios in Arkadien erzählt wird? 

τίς; ἔφη. 
Welche? fragte er.

ὡς ἄρα ὁ γευσάμενος τοῦ  ἀνθρωπίνου σπλάγχνου,
Dass doch derjenige, der vom menschlichen Eingeweide gekostet hat, 

ἐν ἄλλοις ἄλλων ἱερείων ἑνὸς ἐγκατατετμημένου,
nachdem ein einziges Stück in andere <Stücke> von anderen Opfertieren hineingeschnitten worden war,
nachdem ein einziges Stück in jeweils andere <Stücke> von Opfertieren hineingeschnitten worden war,
von einem einzigen in <Stücke> jeweils anderer Opfertiere hineingeschnittenen Stück,

ἀνάγκη[1] δὴ  [565e] τούτῳ λύκῳ γενέσθαι.
dass also für ihn die Notwendigkeit ist, zum Wolf zu werden.
dieser also notwengig zum Wolf wird.

ἢ οὐκ ἀκήκοας τὸν λόγον; 
Oder hast du nicht von dieser Erzählung gehört?

ἔγωγε. 
Doch.

ἆρ᾽ οὖν οὕτω καὶ ὃς ἂν δήμου προεστώς,
So also auch, der als Vorsteher des Volkes {... sich nicht enthält... }
Ist es also so?: <Auch derjenige,> der als Vorsteher des Volkes

λαβὼν σφόδρα πειθόμενον ὄχλον,
wenn er eine ihm sehr gehorsame Menge hat,
mit einem ihm hörigen Mob

μὴ ἀπόσχηται ἐμφυλίου αἵματος,  
sich nicht frei hält von Blut aus dem eingenen Stamm,
das Blut des eigenen Stamms nicht schont,

ἀλλ᾽ ἀδίκως ἐπαιτιώμενος, 
sondern zu Unrecht beschuldigend,

οἷα δὴ φιλοῦσιν,
wie sie es doch lieben / bevorzugen
wie man es ja oft tut,

εἰς δικαστήρια ἄγων μιαιφονῇ,
vor Gericht ziehend sich mit Blut befleckt 

βίον  ἀνδρὸς ἀφανίζων,
das Leben eines Mannes vernichtend,
und so (BO) das Leben eines Mannes vernichtet,

γλώττῃ τε καὶ στόματι ἀνοσίῳ γευόμενος φόνου συγγενοῦς, 
indem er mit frevlerischer Zunge und Mund vom stammeigenen Blut kostet,

καὶ  ἀνδρηλατῇ καὶ [566a]  ἀποκτεινύῃ
und in die Verbannung schickt und tötet

καὶ ὑποσημαίνῃ χρεῶν τε ἀποκοπὰς καὶ γῆς ἀναδασμόν,
und das Zeichen für Schuldentilgung sowohl als auch Landumverteilung gibt,

ἆρα τῷ τοιούτῳ  ἀνάγκη δὴ τὸ μετὰ τοῦτο καὶ εἵμαρται 
nichtwahr, für solchen <Mann> ist es zwingend und vom Schicksal bestimmt,

ἢ ἀπολωλέναι ὑπὸ τῶν ἐχθρῶν ἢ τυραννεῖν 
entweder durch seine Feinde unterzugehen oder ein Tyrann zu sein

καὶ λύκῳ[2] ἐξ  ἀνθρώπου γενέσθαι; 
und von einem Menschen zu einem Wolf zu werden

πολλὴ ἀνάγκη, ἔφη. 
Absolut zwingend.

οὗτος δή, ἔφην, ὁ  στασιάζων γίγνεται πρὸς τοὺς ἔχοντας τὰς οὐσίας. 
Dies also, sagte ich, wird der, der gegen die Besitzenden rebelliert.

οὗτος. 
Ja. 

 

Anmerkungen:

  1. Noch zum Herodot:
    zum melodischen Akzent und zur quantitierenden Metrik s. S03 und M01
  2. zu Z. 1: Pronomina als Prädikatsnomen oder Subjekt
    Zu diesem Thema plane ich eine eigene Grammatikseite, kann aber zur Zeitz nur mit der Beispielsammlung beginnen; denn wir bekommen Besuch, und da habe ich für allzu viel Extras keine Zeit.
  3. zu Z. 13 f.: Wieder muss ich mich entschuldigen:
    Mir hätte auffallen müssen, dass das ἐν ἄλλοις dem ἐγκατατετμημένου entspricht.
  4. zu Z. 24 ff.: Dieser Mammutsatz ist in seinem Aufbau parallel zu dem Anakoluth in Z. 11 ff.
    (s. Anm. 1) gebildet:
    ἆρ᾽ οὖν οὕτω καὶ ὅς in Z. 24 wird durch ἆρα τῷ τοιούτῳ  in Z. 48 wieder aufgenommen.
  5. ὑποσημαίνω: bei Liddell&Scott mit Nennung unserer Stelle “throw out hints of, intimate”, dort aber auch militärisch „ein Trompetensignal geben“; also handelt es sich bei χρεῶν τε ἀποκοπαὶ καὶ γῆς ἀναδασμός doch um politisch Schlagworte.
  6. Wir machten uns nach der Übersetzung klar, dass Platon den Tyrannen als Anführer des Pöbels, der die reichen Aristokraten enteignet, vertreibt oder mordet, darstellt. Er stellt ihn als einen grausamen, rücksichtslosen und machtbesessenen Verbrecher dar, dem jedes Mittel recht ist.

Zu diesem Zweck zieht er die Werwolf-Geschichte vom Kannibalen, der zum Wolf wird, als Vergleich heran, also eine Geschichte, die selbst schon einen Vergleich enthält (Mensch-Tier). (Ich habe mir eine zehnseitige Darstellung des gesamten Kannibalismus- und Werwolf-Motivs in der griech. Antike aus dem Netz heuntergeladen. Interessiert euch das?)

Dementsprehend wild nutzt er alle diese Bilder in dem langen Satz 25 f. Am Ende läuft die Bilderfolge aber doch in Z. 44 f. auf „Vertreiben, Töten und ὑποσημαίνειν von Schuldenerlass und Bodenreform“ hinaus, also auf konkrete politische Machtaktionen.

Wir haben das mit den zeitgnössischen Tyrannen verglichen, die entsprechend skrupellos sind, aber – im Gegensatz zu Platons Darstellung – auch einen Cordon von reichen „Oligarchen“ um sich bilden.

Nächstes Treffen:

Sonntag, 28.07.2024, nun doch wie üblich um 10:00 Uhr. (Ich habe mich bei der Bitte um Vorverlegung im Datum vertan.)

Vorbereitung: wie gehabt! (Ich werde mich aber auch noch um verschiedene Formate des Textes bemühen.)
 

 

 

 

 


[1]ἀνάγκη Anakoluth: ἀνάγκη wird neues Subjekt; 
    das ursprüngliche Subjekt γευσάμενος wird vom Dativ τούτῳ aufgenommen
    Lies: τούτῳ („für diesen“) ἀνάγκηἐστίν - von ἀνάγκη ist abhängig: λύκῳγενέσθαι – 
    das Prädikatsnomen λύκῳ steht im Kasus des Besziehungswortes. 
 

[2]λύκῳγενέσθαι: s. Anm. 88