Pat.Pol.548b-549c Protokoll zum 04.02.2024
Zeit: 10:00 Uhr bis 12:30 Uhr - Ort: online
anwesend: Caren, Holger, Friedrich - Ulf muste sich leider wegen Krankheit abmelden.
Wir wünschen Ulf schnelle Genesung.
Übersetzung:
οὐκοῦν καὶ φειδωλοὶ χρημάτων, ἅτε τιμῶντες καὶ οὐ φανερῶς κτώμενοι, φιλαναλωταὶ δὲ ἀλλοτρίων δι᾽ ἐπιθυμίαν, καὶ λάθρᾳ τὰς ἡδονὰς καρπούμενοι, ὥσπερ παῖδες πατέρα τὸν νόμον ἀποδιδράσκοντες, οὐχ ὑπὸ πειθοῦς ἀλλ᾽ ὑπὸ βίας πεπαιδευμένοι διὰ τὸ τῆς ἀληθινῆς Μούσης τῆς μετὰ λόγων [548c] τε καὶ φιλοσοφίας ἠμεληκέναι καὶ πρεσβυτέρως γυμναστικὴν μουσικῆς τετιμηκέναι. | Und werden sie nicht sparsam mit Geld sein, weil sie es hochschätzen und nicht offensichtlich besitzen, sondern wegen der Gier gern Fremdes verschwenden und heimlich den Lüsten frönen, indem sie wie Kinder vor dem Vater vor dem Gesetz davonlaufen, weil sie nicht mit Überzeugung, sondern mit Gewalt erzogen wurden, wegen der Vernachlässigung der wahrhaften Muse, nämlich der mit Verstand und Philosophie, und weil sie die Körperertüchtigung (wichtiger) mehr geschätzt haben als die musische Bildung. |
παντάπασιν, ἔφη, λέγεις μεμειγμένην πολιτείαν ἐκ κακοῦ τε καὶ ἀγαθοῦ. | Du schilderst, sagte er, eine Verfassung, die ganz und gar aus Schlechtem und Gutem gemischt ist. |
μέμεικται γάρ, ἦν δ᾽ ἐγώ· διαφανέστατον δ᾽ ἐν αὐτῇ ἐστὶν ἕν τι μόνον ὑπὸ τοῦ θυμοειδοῦς κρατοῦντος, φιλονικίαι καὶ φιλοτιμίαι. | Sie ist wahrlich gemischt, sagte ich, und am deutlichsten/ auffälligsten ist in ihr etwa eins allein durch das herrschende Mutvolle: die Streitlust/ Siegliebe und der Ehrgeiz/ Ehrliebe. |
σφόδρα γε, ἦ δ᾽ ὅς. | Ganz bestimmt, sagte er. |
οὐκοῦν, ἦν δ᾽ ἐγώ, αὕτη μὲν ἡ πολιτεία οὕτω γεγονυῖα[1] καὶ τοιαύτη ἄν τις εἴη, ὡς[2] λόγῳ σχῆμα πολιτείας ὑπογράψαντα [548d] μὴ ἀκριβῶς ἀπεργάσασθαι διὰ τὸ ἐξαρκεῖν μὲν ἰδεῖν καὶ ἐκ τῆς ὑπογραφῆς τόν τε δικαιότατον καὶ τὸν ἀδικώτατον, ἀμήχανον δὲ μήκει ἔργον εἶναι πάσας μὲν πολιτείας, πάντα δὲ ἤθη μηδὲν παραλιπόντα διελθεῖν. | Also, sagte ich, dieser Staat [zwar] dürfte so geworden und etwa so geartet sein, um in der Rede die Gestalt des Staates zu skizzieren und (beiordnend statt: wenn man ... skizziert), sie nicht genau auszuarbeiten, weil es genügt, den Gerechtesten und den Ungerechtesten schon aufgrund der Skizze zu erkennen, es aber aufgrund der Größe ein unmögliches Unterfangen wäre, einerseits alle Staaten, andererseits alle Charaktere, ohne etwas auszulassen, durchzugehen. |
καὶ ὀρθῶς, ἔφη. | Auch richtig, sagte er. |
τίς οὖν ὁ κατὰ ταύτην τὴν πολιτείαν ἀνήρ; πῶς τε γενόμενος ποῖός τέ τις ὤν; | Was also ist der dieser Verfassung gemäße Mann, [sowohl] wie geworden und welcher Art [seiend]? |
οἶμαι μέν, ἔφη ὁ Ἀδείμαντος, ἐγγύς τι αὐτὸν Γλαύκωνος τουτουὶ τείνειν ἕνεκά γε φιλονικίας. | Ich glaube ja, sagte Adeimantos, dass er diesem Glaukon hier recht nahe kommt wegen seiner Streitlust. |
[548e] ἴσως, ἦν δ᾽ ἐγώ, τοῦτό γε· ἀλλά μοι δοκεῖ τάδε οὐ κατὰ τοῦτον πεφυκέναι. | Vielleicht, sagte ich, dies schon; aber mir scheint, dass er in Bezug auf Folgendes diesem nicht gemäß [geworden] ist. |
τὰ ποῖα; | Worauf? |
αὐθαδέστερόν τε δεῖ αὐτόν, ἦν δ᾽ ἐγώ, εἶναι καὶ ὑποαμουσότερον, φιλόμουσον δέ, καὶ φιλήκοον μέν, ῥητορικὸν δ᾽ [549a] οὐδαμῶς. καὶ δούλοις μέν τις ἂν ἄγριος εἴη ὁ τοιοῦτος, οὐ καταφρονῶν δούλων, ὥσπερ ὁ ἱκανῶς πεπαιδευμένος, ἐλευθέροις δὲ ἥμερος, ἀρχόντων δὲ σφόδρα ὑπήκοος, φίλαρχος δὲ καὶ φιλότιμος, οὐκ ἀπὸ τοῦ λέγειν ἀξιῶν ἄρχειν οὐδ᾽ ἀπὸ τοιούτου οὐδενός, ἀλλ᾽ ἀπὸ ἔργων τῶν τε πολεμικῶν καὶ τῶν περὶ τὰ πολεμικά, φιλογυμναστής τέ τις ὢν καὶ φιλόθηρος. | Er muss anmaßender sein, sagte ich, und amusischer/ ungebildeter, aber ein Liebhaber der Musen/Bildung, und einer, der gern zuhört, aber keineswegs redegewandt ist. Und zu Sklaven dürfte der so Geartete ziemlich grausam sein, ohne Sklaven zu verachten, wie der hinreichend Gebildete, zu Freien aber mild. und den Herrschenden sehr gehorsam, aber herrschsüchtig und ehrgeizig, indem er nicht durch Reden zu herrschen verlangt, auch nicht aufgrund von etwas dergleichen, sondern aufgrund von Kriegstaten und Kriegswesen, während er sowohl die Körperertüchtigung als auch die Jagd liebt. |
ἔστι γάρ, ἔφη, τοῦτο τὸ ἦθος ἐκείνης τῆς πολιτείας. | Denn das ist, sagte er, der Charakter jenes Staates. |
οὐκοῦν καὶ χρημάτων, ἦν δ᾽ ἐγώ, ὁ τοιοῦτος νέος μὲν ὢν [549b] καταφρονοῖ ἄν, ὅσῳ δὲ πρεσβύτερος γίγνοιτο, μᾶλλον ἀεὶ ἀσπάζοιτο ἂν τῷ τε μετέχειν τῆς τοῦ φιλοχρημάτου φύσεως καὶ μὴ εἶναι εἰλικρινὴς πρὸς ἀρετὴν διὰ τὸ ἀπολειφθῆναι τοῦ ἀρίστου φύλακος; | Nichtwahr, auch Geld, sagte ich, dürfte dieser in seiner Jugend zwar verachten, aber je älter er wird, dürfte er es immer mehr schätzen, dadurch dass er an der Natur des Geldliebenden teilhat und nicht deutlich entschieden für Tugend ist, weil er vom besten Wächter verlassen wurde. |
τίνος; ἦ δ᾽ ὃς ὁ Ἀδείμαντος. | Von wem? fragte Adeimantos. |
λόγου, ἦν δ᾽ ἐγώ, μουσικῇ κεκραμένου· ὃς μόνος ἐγγενόμενος σωτὴρ ἀρετῆς διὰ βίου ἐνοικεῖ τῷ ἔχοντι. | Vom Denken, sagte ich, gemischt mit Musischem. Dieser eingeborene Beschützer der Tugend bleibt dem, der ihn hat, das Leben hindurch. |
καλῶς, ἔφη, λέγεις. | Gut, sagte er, sprichst du. |
καὶ ἔστι μέν γ᾽, ἦν δ᾽ ἐγώ, τοιοῦτος ὁ τιμοκρατικὸς νεανίας, τῇ τοιαύτῃ πόλει ἐοικώς. | Und ein solcher ist gewiss, sagte ich, der timokratische Jüngling, da er dieser Stadt gleicht. |
[549c] πάνυ μὲν οὖν. | Ja klar. |
γίγνεται δέ γ᾽, εἶπον, οὗτος ὧδέ πως· ἐνίοτε πατρὸς ἀγαθοῦ ὢν νέος ὑὸς ἐν πόλει οἰκοῦντος οὐκ εὖ πολιτευομένῃ, φεύγοντος τάς τε τιμὰς καὶ ἀρχὰς καὶ δίκας καὶ τὴν τοιαύτην πᾶσαν φιλοπραγμοσύνην καὶ ἐθέλοντος ἐλαττοῦσθαι ὥστε πράγματα μὴ ἔχειν - | Es entsteht, sagte ich, dieser etwa so: Manchmal, wenn ein Junge Sohn eines guten Vaters ist, der in einer nicht gut verwalteten Stadt wohnt und die Ehren, Ämter, Gerichte und die ganze derartige Geschäftigkeit meidet und sich kleiner machen will, um keine Probleme zu haben - |
πῇ δή, ἔφη, γίγνεται; | Wie denn nun, fragte er, entsteht er? |
Anmerkungen dazu:
- Zur Bedeutung der Erziehung:
[548c] πεπαιδευμένοι διὰ τὸ τῆς ἀληθινῆς Μούσης: Der Erziehung durch die wahre Muse (also in hoher Bildung) steht die Erziehung durch Gewalt entgegen, ein wirklich moderner Gedanke.
[549a] ὁ ἱκανῶς πεπαιδευμένος: Die Erziehung lehrt, auch den Sklaven nicht zu verachten. Sie enthält also auch das Moment der Menschlichkeit, wie es ein halbes Jahrhundert später in der Stoa ausdrücklich gelehrt wird. Humanismus ist nach Auffassung der Antike erst durch Erziehung und Bildung gegeben. Bis heute ist das der Kern des eigentlichen Humanismus. - [548d] Γλαύκωνος τουτουί: von oὑτοσί, αὑτηί, τουτοί, d.i. das Demonstrativpronomen mit angehängtem deiktischen -ί „dieser hier“
- [548d] ἔφη ὁ Ἀδείμαντος: Wir fragten uns, wie der Einwurf des Adeimantos zu verstehen ist, dass auch sein Bruder φιλόνικος sei. Ist das eine Anspielung auf eine herausragende Stellung oder Leistung im peloponnesischen Krieg? Außerordentliches wird aber über ihn nicht berichtet.
Natürlich ist Glaukon ein Vertreter der athenischen Gesellschaft, in der φιλονικία allerdings eine große Rolle spielte. Sie darf aber nicht nur auf die Streitlust im Krieg bezogen werden, sondern gilt für jeden ἀγών in der Volksversammlung, vor Gericht, im Dionysostheater, in der Palästra, bei den religiösen Spielen. Und hier könnte im Besonderen auf Glaukons Rolle in der Politeia angespielt sein. Denn schon im ersten Buch stellt er sich im Streit mit Thrasymachos auf die Seite des Sokrates.
Ich halte den Einwurf des Adeimantos für eine Auflockerung des theoretischen Gedankengangs durch die Konkretisierung an einem der Gesprächsteilnehmer, zumal er über seinen jüngeren Bruder spricht (Platon war von den dreien der jüngste).
Und zugleich gibt der Einwurf den Anlass, im folgenden den Charakter des φιλόνικος in der Timokratie von der üblichen Streitlust etwa eines Glaukon abzugrenzen. - Platons Seelenlehre
[548e] τοῦ θυμοειδοῦς κρατοῦντος: das ist fachsprachlich zu verstehen. τὸ θυμοειδές „das Mutvolle“ ist der mittlere der drei Seelenteile zwischen τὸ ἐπιθυμητικόν und τὸ λογιστικόν. Ιm timokratischen Menschen hat also τὸ θυμοειδές die Oberhand und nicht, wie von Platon gefordert, τὸ λογιστικόν, das in [549b] ἐγγενόμενος σωτὴρ ἀρετῆς genannt wird. - Zu Platons Argumentation
Wir werden am Ende des Abschnitts über die Timokratie zu erörtern haben, ob Platons Argumentation überzeugend ist. Mir scheint zur Zeit, dass er im Zirkelschluss die Staatsform mit Hilfe des menschlichen Charakters beschreibt, um dann aus der Staatsform auf den menschlichen Chrakter zu schließen.
Danach gab es noch einen langen Gedankenaustausch zur Schule und der AfD
Nächster Termin: Sonntag, 11.02.2024, 10:00 Uhr
Vorbereitung dazu: Ich werde wohl erst am Mittwoch dazu kommen, die Textfassung mit Anmerkungen auf Plat.Pol.VIII zugänglich zu machen.