Plat.Pol.549b-550e Protokoll zum 11.02.2024
Plat.Pol.549b-550e Protokoll zum 11.02.2024
Zeit: 10:00 – 12:00 Uhr - Ort: online
anwesen: Holger, Ulf, Friedrich
Wir haben Caren vermisst.
Vorweg:
Der bisherige Text zur Entwicklung der timokratischen Verfassung:
(vor allem soziale Kategorien):
- [546d] Aufgrund der Missachtung der richtigen Zeugungszeit:
Man beginnt die wahrhaften Musen zu vernachlässigen und auch die γυμναστική. Und so kommen weniger Geeignete in die δυνάμεις der Väter.
Die Solidität der drei Stände schwindet zugunsten von Mischung von Eisen und Silber, Bronze und Gold. Die Unausgewogenheit bringt Streit. - [547b] Was die Musen außerdem sagen:
Die untere Mischung begehrt Besitz, die obere hält an der Tugend fest, im Streit aber einigt man sich auf die Aneignung von Häusern und Besitz und die soziale Ordnung ändert sich: Aus freien Bauern und Handwerkern werden Metöken und Sklaven; die obere Schicht kümmert sich nur um Ordnung und Krieg. (Sparta) - [547d] Zur Einrichtung des Staates
als gemischt zwischen Aristo- und Oligarchie :
Nachahmung der „Aristokrie“: Der Wehrstand ehrt die Herrschenden und hält sich von Landwirtschaft und Handwerk fern, Kümmert sich ums Kriegswesen.
Ähnlichkeit mit Oligarchie: Neigung, die Mutvollen zu Herrschern zu machen;
zudem geldgierig und verschwenderisch insgeheim und hinter hohen Mauern; Flucht vor dem Gesetz; wenig Interesse für Bildung, γυμναστική ist wichtiger.
[548c] Also gemischte Verfassung mit Vorherrschaft des θυμοειδές, d.h. φιλονικία und φιλοτιμία
Zum timokratischen Menschen
(v.a. psychologisch)
- [548e] Im Unterschied zu Glaukons typisch athenischer φιλινικία:
selbstgefälliger und weniger gebildet;
sondern bildungsliebend, aber nur als Zuhörer; zu Sklaven hart, ohne sie zu verachten,
zu Freien mild; den Oberen Gehorsam, aber herrschsüchtig; sportbegeistert
Adeimantos: „Das ist der Charakter des Staates.“ - [549a] Der Heranwachsende wird immer geldgieriger, immer weniger auf Tugend bedacht,
wegen Verlust des λογιστικόν als des inneren Wächters, - [549c] Enwicklung des timokratischen Jünglings
Übersetzung
γίγνεται δέ γ᾽, εἶπον, οὗτος ὧδέ πως· ἐνίοτε πατρὸς ἀγαθοῦ ὢν νέος ὑὸς ἐν πόλει οἰκοῦντος οὐκ εὖ πολιτευομένῃ, φεύγοντος τάς τε τιμὰς καὶ ἀρχὰς καὶ δίκας καὶ τὴν τοιαύτην πᾶσαν φιλοπραγμοσύνην καὶ ἐθέλοντος ἐλαττοῦσθαι ὥστε πράγματα μὴ ἔχειν - | Es entsteht, sagte ich, dieser etwa so: Manchmal, wenn ein Junge Sohn eines guten Vaters ist, der in einer nicht gut verwalteten Stadt wohnt und die Ehren, Ämter, Gerichte und die ganze derartige Geschäftigkeit meidet und sich kleiner machen will, um keine Probleme zu haben - |
πῇ δή, ἔφη, γίγνεται; | Wie denn nun, fragte er, entsteht er? |
ὅταν[1], ἦν δ᾽ ἐγώ, πρῶτον μὲν τῆς μητρὸς ἀκούῃ ἀχθομένης ὅτι οὐ τῶν ἀρχόντων αὐτῇ ὁ ἀνήρ ἐστιν, καὶ ἐλαττουμένης[2] διὰ [549d] ταῦτα ἐν ταῖς ἄλλαις γυναιξίν, ἔπειτα ὁρώσης μὴ σφόδρα περὶ χρήματα σπουδάζοντα μηδὲ μαχόμενον καὶ λοιδορούμενον ἰδίᾳ τε ἐν δικαστηρίοις καὶ δημοσίᾳ, ἀλλὰ ῥᾳθύμως πάντα τὰ τοιαῦτα φέροντα, καὶ[3] ἑαυτῷ μὲν τὸν νοῦν προσέχοντα ἀεὶ αἰσθάνηται, ἑαυτὴν δὲ μήτε πάνυ τιμῶντα μήτε ἀτιμάζοντα, ἐξ ἁπάντων τούτων ἀχθομένης[4] τε καὶ λεγούσης ὡς ἄνανδρός τε αὐτῷ ὁ πατὴρ καὶ λίαν ἀνειμένος, καὶ ἄλλα δὴ ὅσα καὶ [549e] οἷα φιλοῦσιν αἱ γυναῖκες περὶ τῶν τοιούτων ὑμνεῖν. | Wenn er, sagte ich, zuerst die Mutter klagen hört, dass sie keinen Mann der Herrschenden hat, zum einen weil sie deswegen zurückgesetzt ist unter den anderen Frauen, dann <weil sie> sieht, dass er sich nicht sehr um Geld bemüht, nicht privat und öffentlich kämpft und schmäht in den Gerichten, sondern all das gleichgültig trägt, und <wenn> sie wahrnimmt, dass er immer an sich selbst denkt, sie selbst aber weder sehr achtet noch missachtet, <wenn er sie also> aufgrund all dieser Dinge klagen und sagen <hört>, dass er einen unmännlichen und allzu nachgiebigen Vater hat und anderes noch, was und wie es die Frauen lieben, über solche Männer ihr Lied zu singen. |
καὶ μάλ᾽, ἔφη ὁ Ἀδείμαντος, πολλά τε καὶ ὅμοια ἑαυταῖς. | Und sehr vieles, sagte Adeimantos, ihnen Entsprechendes. |
οἶσθα οὖν, ἦν δ᾽ ἐγώ, ὅτι καὶ οἱ οἰκέται τῶν τοιούτων ἐνίοτε λάθρᾳ πρὸς τοὺς ὑεῖς τοιαῦτα λέγουσιν, οἱ δοκοῦντες εὖνοι εἶναι, καὶ ἐάν τινα ἴδωσιν[5] ἢ ὀφείλοντα[6] χρήματα, ᾧ μὴ ἐπεξέρχεται ὁ πατήρ, ἤ τι ἄλλο ἀδικοῦντα, διακελεύονται ὅπως, ἐπειδὰν ἀνὴρ γένηται, τιμωρήσεται πάντας τοὺς τοιούτους [550a] καὶ ἀνὴρ μᾶλλον ἔσται τοῦ πατρός. καὶ ἐξιὼν[7] ἕτερα τοιαῦτα ἀκούει καὶ ὁρᾷ, τοὺς[8] μὲν τὰ αὑτῶν πράττοντας ἐν τῇ πόλει ἠλιθίους τε καλουμένους καὶ ἐν σμικρῷ λόγῳ ὄντας, τοὺς[9] δὲ μὴ τὰ αὑτῶν τιμωμένους τε καὶ ἐπαινουμένους. τότε δὴ ὁ νέος πάντα τὰ τοιαῦτα ἀκούων τε καὶ ὁρῶν, καὶ αὖ τοὺς τοῦ πατρὸς λόγους ἀκούων τε καὶ ὁρῶν τὰ ἐπιτηδεύματα αὐτοῦ ἐγγύθεν παρὰ τὰ τῶν ἄλλων, ἑλκόμενος ὑπ᾽ ἀμφοτέρων [550b] τούτων, τοῦ μὲν πατρὸς αὐτοῦ τὸ λογιστικὸν[10] ἐν τῇ ψυχῇ ἄρδοντός τε καὶ αὔξοντος, τῶν δὲ ἄλλων τό τε ἐπιθυμητικὸν καὶ τὸ θυμοειδές, διὰ τὸ μὴ κακοῦ ἀνδρὸς εἶναι τὴν φύσιν, ὁμιλίαις δὲ ταῖς τῶν ἄλλων κακαῖς κεχρῆσθαι, εἰς τὸ μέσον ἑλκόμενος ὑπ᾽ ἀμφοτέρων τούτων ἦλθε[11], καὶ τὴν ἐν ἑαυτῷ ἀρχὴν παρέδωκε τῷ μέσῳ τε καὶ φιλονίκῳ καὶ θυμοειδεῖ, καὶ ἐγένετο ὑψηλόφρων τε καὶ φιλότιμος ἀνήρ. | Du weißt ja, sagte ich, dass auch die Diener solcher Leute, die wohlgesinnt zu sein scheinen, manchmal heimlich solche Dinge zu den Söhnen sagen und wenn sie von jemandem wissen, der <dem Vater> entweder Geld schuldet und dem der Vater nicht <gehörig> zusetzt, oder der irgend ein anderes Unrecht begeht, <den Sohn> ermutigen, dass er, wenn er ein Mann wird, all diese Leute bestrafen und mehr ein Mann sein wird als sein Vater. |
κομιδῇ μοι, ἔφη, δοκεῖς τὴν τούτου γένεσιν διεληλυθέναι. | Vollständig, sagte er, scheinst du mir dessen Entstehung beschrieben zu haben. |
[550c] ἔχομεν ἄρα, ἦν δ᾽ ἐγώ, τήν τε δευτέραν πολιτείαν καὶ τὸν δεύτερον ἄνδρα. | Wir haben nun, sagte ich, die zweite Verfassung und den zweiten Mann <erfasst>. |
ἔχομεν, ἔφη. | Haben wir, sagte er. |
οὐκοῦν μετὰ τοῦτο, τὸ τοῦ Αἰσχύλου, λέγωμεν, "ἄλλον ἄλλῃ πρὸς[12] πόλει τεταγμένον"Aesch. Seven 451," μᾶλλον δὲ κατὰ τὴν ὑπόθεσιν προτέραν τὴν πόλιν; | Nichtwahr, wir wollen hiernach, nach der Formulierung des Aischylos „den einen <Mann> dieser einen Stadt, den anderen der anderen zugeordnet“ nennen, mehr aber gemäß der Planung zuerst (die Stadt) von der Stadt sprechen. |
πάνυ μὲν οὖν, ἔφη. | Gewiss doch, sagte er. |
εἴη δέ γ᾽ ἄν, ὡς ἐγᾦμαι, ὀλιγαρχία ἡ μετὰ τὴν τοιαύτην πολιτείαν. | Es dürfte also, wie ich meine die Oligarchie diejenige nach einer solchen Verfassung sein. |
λέγεις δέ, ἦ δ᾽ ὅς, τὴν ποίαν κατάστασιν ὀλιγαρχίαν; | Welche Einrichtung, fragte er, nennst du aber Oligarchie? |
τὴν ἀπὸ τιμημάτων, ἦν δ᾽ ἐγώ, πολιτείαν, ἐν ᾗ οἱ μὲν [550d] πλούσιοι ἄρχουσιν, πένητι δὲ οὐ μέτεστιν ἀρχῆς. | Die Verfassung, sagte ich, nach der Vermögensschätzung, in der die Reichen herrschen, dem Arme aber an der Herrschaft kein Anteil zukommt. |
μανθάνω, ἦ δ᾽ ὅς. | Ich verstehe, sagte er. |
οὐκοῦν ὡς μεταβαίνει πρῶτον ἐκ τῆς τιμαρχίας εἰς τὴν ὀλιγαρχίαν, ῥητέον; | Ist nun also zu besprechen, wie es zuerst aus der Timarchie den Übergang zur Oligarchie gibt? |
ναί. | Ja. |
καὶ μήν, ἦν δ᾽ ἐγώ, καὶ τυφλῷ γε δῆλον ὡς μεταβαίνει. | Und wahrlich, sagte ich, ist es auch für einen Blinden klar, wie der Übergang ist. |
πῶς; | Wie? |
τὸ ταμιεῖον, ἦν δ᾽ ἐγώ, ἐκεῖνο ἑκάστῳ χρυσίου πληρούμενον ἀπόλλυσι τὴν τοιαύτην πολιτείαν. πρῶτον μὲν γὰρ δαπάνας αὑτοῖς ἐξευρίσκουσιν, καὶ τοὺς νόμους ἐπὶ τοῦτο παράγουσιν, ἀπειθοῦντες αὐτοί τε καὶ γυναῖκες αὐτῶν. | Jene Schatzkammer, sagte ich, die für jeden mit Gold gefüllt ist, verdirbt diese Verfassung. Zuerst nämlich (finden) berechnen sie die Aufwendungen für sich (heraus), und darauf hin beugen sie die Gesetze, sowohl selbst den Gesetzen ungehorsam als auch ihre Frauen. |
εἰκός, ἔφη. | Sicher, sagte er. |
[550e] ἔπειτά γε οἶμαι ἄλλος ἄλλον ὁρῶν καὶ εἰς ζῆλον ἰὼν τὸ πλῆθος τοιοῦτον αὑτῶν[13] ἀπηργάσαντο. | Dann, glaube ich, sieht einer auf den anderen und eifersüchtig geworden machen sie die Menge wie sie selbst. |
εἰκός. | Sicher. |
Überlegungen dazu:
- [550e] Zum dritten Mal werden die Frauen in negativem Kontext genannt:
in [548b] schon hier die Aufwendungen der Reichen für die Frauen wie in der Oligarchie und wie in [550e],
in [549d] die Unzufriedenheit der Mutter mit dem Rückzug des „vernünftigen“ Mannes aus dem unordentlichen Staat, d.h. mit seiner Abkehr von der eigentlich in Athen hochgelobten πολυπραγμοσύνη,
in [549e] das ständige Gerede der Frauen über ihre Männer. - Holger erinnert das an die Komödie.
Es gibt aber sowohl in der alten Komödie viele vernünftige Frauen,
so Lysistrate, die gegen die kriegslüsternen Männer einen Aufstand der Frauen für den Frieden organisiert, indem sie sich den Männern verweigern,
und etwa die Ekklesiazusen, „die Weibervolksversammlung“, in der die Frauen die Regierung übernehmen und Güter- und Frauengemeinschaft propagieren, die dann komödiantisch ad absurdum geführt wird.
In der neuen Komödie gibt es ebenso die „guten“ Frauen, mehrfach sind es bei Menander gerade die Hetären. - Außerdem sei daran erinnert, dass Platon im 5. Buch des Staates die Gleichberechtigung der Frau vertritt.
Nächster Termin: Sonntag, 18.02.2024, 10:00 Uhr
Vorbereitung dazu:
Ich habe die nächste Textpassage mit Fußnoten und Vokabeln bereits hochgeladen.
Doch habe ich seit diesem Treffen die Frage, ob ich mir die Mühe überhaupt machen soll. Nutzt Ihr meine Hilfen überhaupt?
[1]ὅταν ... ἀκούῃἀχθομένης Sokrates antwortet in einem langen Nebensatz, dessen Glieder sich eher ad sensum als grammatisch aneinanderreihen
[2]καίἐλαττουμένης ... kausaler PC zu ἀχθομένης, ebenso das anschließende ἔπειταὁρώσης ...
[3]καὶ ... ἀεὶαἰσθάνηται hinter καί ist ein ὅταν zu ergänzen; es hätte wohl auch καὶ ἀεὶαἰσθανομένης heißen können
[4]ἀχθομένης zusammenfassende Wiederaufnahme des obigen ἀκούῃ ἀχθομένης
[5]ἴδωσιν Subjekt sind die οἰκέται
[6]ὀφείλοντα ergänze τῷπατρί
[7]ἐξιών nämlich aus dem Hause
[8]τοὺς μέν πράττοντας ... τοὺς δέ <πράττοντας> = Subjektsakkusativ, καλουμένους und ὄντας = Prädikatspartizipien in einem AcP nach den Verben der Wahrnehmung (ἀκούει καὶ ὁρᾷ) > im Dt. dass-Satz
[9]τοὺς δὲ μὴ τὰ αὑτῶν erg. πράττοντας
[10]λογιστικὸν (das Vernünftige): bei Platon der oberste der drei Seelenteile, nach dem ἐπιθυμητικόν (das Begehrende) und dem θυμοειδές (das Mutvolle).
[11]ἦλθε und ἐγένετο: gnomischer Aorist
[12]πρός: Tmesis, d.h. zu lesen ist προστετάγμενον
[13]τὸ πλῆθος τοιοῦτον αὑτῶν ἀπεργάσαντο: „sie machen die Menge zu einer solchen (von sich) wie sie selbst“