Plat.543a-544b - Prot. zum 17.12.23
Zeit: 10:00 – 12:10 Uhr - Ort: online
anwesend: Caren, Holger, Friedrich
Wir beginnen heute mit Platons Politeia, Buch 8 und führen damit das Thema von Herodots Vefassungsdialog fort.
Zu Beginn des 8. Buchs stellt Sokrates zusammen mit Glaukon fest, an welcher Stelle das bisherige lange Gespräch über den theoretisch entworfenen gerechten Staat inzwischen angekommen ist. Dabei werden einige bisherige Thesen und Ergebnisse sehr kurz referiert, was für uns „Hinzustoßende“ zum einen sehr praktisch ist, zum anderen aber auch wegen der Kürze schwer zu verstehen.
Sokrates referiert Besonderheiten des bisher entwickelten gerechten Idealstaates, nämlich die Lebensform des Standes der Wächter (d.i. der 2. Stand nach den Handwerkern und Bauern), mit seiner Frauen-, Kinder-, Erziehungs-, Wohn- und Lebensgemeinschaft, auch mit der Gleichberechtigung der Frau. Er nennt das Ideal des 3. Standes der Könige: βασιλέας δὲ αὐτῶν εἶναι τοὺς ἐν φιλοσοφίᾳ τε καὶ πρὸς τὸν πόλεμον γεγονότας ἀρίστους [543a]. Und darin ist enthalten, dass der ideale Staat auf einer ausführlich dargestellten ausgeklügelten Erziehung aller seiner Bürger, v.a. aber der Wächter und der Könige beruht; wir kennen die Grundzüge der philosophischen Erziehung der Könige aus dem 7. Brief.
Nun erinnert Glaukon daran, dass Sokrates schon einmal an dem Punkt angelangt war, die Abfolge der vier Verfassungsformen zu entwickeln, die als Verfallsformen des gedachten besten Staates auf ihn folgen würden (das war beim Übergang vom 4. zum 5. Buch, als die Gesprächspartner Adeimantos und Polemarch mit ihren Einwürfen von dieser Frage ablenkten). Dies sollen nun (im 8. Buch) abgehandelt werden.
Dazu wird ebenfalls in aller Kürze an das zentrale Thema der Politeia erinnert: εἰ ὁ ἄριστος εὐδαιμονέστατος καὶ ὁ κάκιστος ἀθλιώτατος [544a] (schon im ersten Buch hatte der Redner Thrasymachos die gegenteilige These verfochten). Es geht bei allem also um ethische Fragen. Aus methodischen Gründen führt diese Frage nach dem gerechten Menschen zur Untersuchung der Staatsformen; denn den Eigenheiten der Staatsformen entsprechen die Eigenheiten der in ihnen handelnden Menschen (καὶ ἀνθρώπων εἴδη τοσαῦτα ἀνάγκη τρόπων εἶναι, ὅσαπερ καὶ πολιτειῶν [544d]), und die Großform des Staates lasse sich, wie es schon im 2. Buch heißt, jeweils leichter auf die Gerechtigkeit hin untersuchen (πλείων ἂν δικαιοσύνη ἐν τῷ μείζονι εἴη καἰ ῥάων καταμαθεῖν [369a]); aus ihrer jeweiligen Eigenheit könne man dann auf den Charakter des in ihr handelnden Menschen schließen und so die zentrale Frage der Politeia nach der Gerechtigkeit beantworten.
Übersetzung:
[543a] εἶεν· ταῦτα μὲν δὴ ὡμολόγηται, ὦ Γλαύκων, τῇ μελλούσῃ ἄκρως οἰκεῖν πόλει κοινὰς μὲν γυναῖκας, κοινοὺς δὲ παῖδας εἶναι καὶ πᾶσαν παιδείαν, ὡσαύτως δὲ τὰ ἐπιτηδεύματα κοινὰ ἐν πολέμῳ τε καὶ εἰρήνῃ, βασιλέας δὲ αὐτῶν εἶναι τοὺς ἐν φιλοσοφίᾳ τε καὶ πρὸς τὸν πόλεμον γεγονότας ἀρίστους. | (Es sei) Nun denn; darin sind <wir uns> doch einig, <lieber> Glaukon, dass (für) in der zukünftig hervorragend funktionierenden Stadt die Frauen gemeinsam sind und die Kinder gemeinsam und die ganze Erziehung, ebenso aber der Lebensunterhalt gmeinsam ist in Krieg und Frieden, und dass ihre Könige die in Philosophie und für den Krieg am besten (gewordenen) ausgerüsteten sind. |
ὡμολόγηται, ἔφη. [543b] | <Ja>, einig, sagte er. |
καὶ μὴν καὶ τάδε συνεχωρήσαμεν, ὡς, ὅταν δὴ καταστῶσιν οἱ ἄρχοντες, ἄγοντες τοὺς στρατιώτας κατοικιοῦσιν εἰς οἰκήσεις οἵας προείπομεν, ἴδιον μὲν οὐδὲν οὐδενὶ ἐχούσας, κοινὰς δὲ πᾶσι· πρὸς δὲ ταῖς τοιαύταις οἰκήσεσι, καὶ τὰς κτήσεις, εἰ μνημονεύεις, διωμολογησάμεθά που οἷαι ἔσονται αὐτοῖς. | Und so sind wir auch in Folgendem überein gekommen, das, wenn nun die Herrschenden aufgestellt sind, leiten sie die Krieger und bringen sie in Unterkünften unter, wie wir sie oben beschrieben haben, die keinem irgendetwas Eigenes bieten, sondern allen gemeinsam sind; zusätzlich zu den so gearteten Unterkünften waren wir uns einig über den Besitz, welcherart er ihnen zur Verfügung stehen wird. |
ἀλλὰ μνημονεύω, ἔφη, ὅτι γε οὐδὲν οὐδένα ᾠόμεθα δεῖν κεκτῆσθαι ὧν νῦν οἱ ἄλλοι, ὥσπερ δὲ ἀθλητάς τε πολέμου [543c] καὶ φύλακας, μισθὸν τῆς φυλακῆς δεχομένους εἰς ἐνιαυτὸν τὴν εἰς ταῦτα τροφὴν παρὰ τῶν ἄλλων, αὑτῶν τε δεῖν καὶ τῆς ἄλλης πόλεως ἐπιμελεῖσθαι. | (Aber) Sicher erinnere ich mich, sagte er, dass wir meinten, niemand dürfe irgendetwas besitzen von dem, was die anderen jetzt besitzen, aber dass sie als Kriegskämpfer und Wächter als jährlichen Wächterlohn die Nahrung dafür von den anderen bekommen und (beiordnend) sich sowohl um sich und die (andere) übrige Stadt kümmern sollen. |
ὀρθῶς, ἔφην, λέγεις. ἀλλ᾽ ἄγ᾽, ἐπειδὴ τοῦτ᾽ ἀπετελέσαμεν, ἀναμνησθῶμεν πόθεν δεῦρο ἐξετραπόμεθα, ἵνα πάλιν τὴν αὐτὴν ἴωμεν. | Richtig, sagte ich, [spichst du]. (Aber los) Nun aber, da wir das abgeschlossen haben, wollen wir uns erinnern, woher wir bis hierher ausgegangen sind, damit wir wieder auf denselben Weg kommen. |
οὐ χαλεπόν, ἔφη. σχεδὸν γάρ, καθάπερ νῦν, ὡς διεληλυθὼς περὶ τῆς πόλεως τοὺς λόγους ἐποιοῦ, λέγων ὡς ἀγαθὴν μὲν τὴν τοιαύτην, οἵαν τότε διῆλθες, τιθείης πόλιν, [543d] καὶ ἄνδρα τὸν ἐκείνῃ ὅμοιον, καὶ ταῦτα, ὡς ἔοικας, καλλίω [544a] ἔτι ἔχων εἰπεῖν πόλιν τε καὶ ἄνδρα. ἀλλ᾽ οὖν δὴ τὰς ἄλλας ἡμαρτημένας ἔλεγες, εἰ αὕτη ὀρθή. τῶν δὲ λοιπῶν πολιτειῶν ἔφησθα, ὡς μνημονεύω, τέτταρα εἴδη εἶναι, ὧν καὶ πέρι λόγον ἄξιον εἴη ἔχειν καὶ ἰδεῖν αὐτῶν τὰ ἁμαρτήματα καὶ τοὺς ἐκείναις αὖ ὁμοίους, ἵνα πάντας αὐτοὺς ἰδόντες, καὶ ὁμολογησάμενοι τὸν ἄριστον καὶ τὸν κάκιστον ἄνδρα, ἐπισκεψαίμεθα εἰ ὁ ἄριστος εὐδαιμονέστατος καὶ ὁ κάκιστος ἀθλιώτατος, ἢ ἄλλως ἔχοι· καὶ ἐμοῦ ἐρομένου τίνας λέγοις [544b] τὰς τέτταρας πολιτείας, ἐν τούτῳ ὑπέλαβε Πολέμαρχός τε καὶ Ἀδείμαντος, καὶ οὕτω δὴ σὺ ἀναλαβὼν τὸν λόγον δεῦρ᾽ ἀφῖξαι. | Das ist nicht schwer, sagte er. Fast nämlich wie jetzt, sprachst du über die Stadt, als ob du <sie schon> fertig dargestellt hättest, und (beiordnend) sagtest, dass du die derartige Stadt, wie du sie damals erläutertest, als gute aufstelltest wie auch den ihr entsprechenden Mann, und dies, wie (du schienst) es schien, obwohl du eine noch bessere Stadt und einen <noch bessseren> Mann nennen konntest. Aber du nanntest ja nun, die anderen fehlerhaft, wenn diese richtig sei. Von den übrigen Staaten, sagtest du, wie ich mich erinnere, gebe es vier Arten, über die es lohne zu sprechen und ihre Fehler zu sehen und die jenen wiederum entsprechenden <Männer>, damit wir sie alle sähen und uns über den besten und schlechtesten Mann verständigten und so (beiordnend) betrachten könnten, ob der beste der glücklichste und der schlechteste der unglücklichste sei oder ob es sich anders verhalte. Und als ich fragte, welche vier Staatsformen du meintest, in dem Augenblick unterbrach<en> Polemarchos und Adeimantos, und also hast du da das Gespräch angenommen und bist <nun> hier angekommen. |
ὀρθότατα, εἶπον, ἐμνημόνευσας. | Sehr richtig, sagte ich, hast du dich erinnert. |
πάλιν τοίνυν, ὥσπερ παλαιστής, τὴν αὐτὴν λαβὴν πάρεχε, καὶ τὸ αὐτὸ ἐμοῦ ἐρομένου πειρῶ εἰπεῖν ἅπερ τότε ἔμελλες λέγειν. | Dann zeige mir wieder wie ein Ringer denselben Griff, und wenn ich dasselbe frage, versuche zu sagen, was du damals sagen wolltest. |
ἐάνπερ, ἦν δ᾽ ἐγώ, δύνωμαι. | Wenn ich kann, sagte ich. |
Anmerkungen dazu:
zu 543c letzter Satz:
Ungenau haben wir - ich jedenfalls - den letzten Satz von 543c verstanden. In ὡς διεληλυθώς wäre das Perfekt zu beachten gewesen: „einer, der erörtert hat = einer, der mit der Erörterung fertig ist“, und da das Partizip zur zweiten Person in περὶ τῆς πόλεως τοὺς λόγους ἐποιοῦ gehört, muss es also in der 2. Person heißen: „du, der du mit der Erörterung fertig bist“. Das Ganze steht aber hinter dem komparativen ὡς und bedeutet dann, „als ob du mit der Erörterung fertig bist/ seist“. Insgesamt also: „Du sprachst über die Stadt, als ob du mit der Erörterung fertig seist.“ Und beiordnend gehts weiter: „und du sagtest zugleich, dass du diese Stadt, wie du sie damals (≙ zuvor) erörtert hattest, als eine gute setzt/ ansiehst (obliquer Optativ der indirekten Rede) ...“.
Das und das in [543d] Folgende bezieht sich fast wörtlich auf den ersten Satz des Sokrates im 5. Buch:
[449a] ἀγαθὴν μὲν τοίνυν τὴν τοιαύτην πόλιν τε καὶ πολιτείαν καὶ ὀρθὴν καλῶ, καὶ ἄνδρα τὸν τοιοῦτον· κακὰς δὲ τὰς ἄλλας καὶ ἡμαρτημένας, εἴπερ αὕτη ὀρθή, περί τε πόλεων διοικήσεις καὶ περὶ ἰδιωτῶν ψυχῆς τρόπου κατασκευήν, ἐν τέτταρσι πονηρίας εἴδεσιν οὔσας. | Gut und richtig nenne ich also die derartige Stadt und Verfassung und ebenso auch den derartigen Mann; die anderen aber, wenn diese richtig ist, schlecht und verfehlt, sowohl was die Einrichtung der Staaten als auch was die seelische Verfassung des Einzelnen betrifft; und sie gibt es in vier Formen der Schlechtigkeit/ des Mangels. |
ποίας δὴ ταύτας; ἔφη. | Welcher Art sind die denn? fragte er. |
Doch die Frage wurde nicht beantwortet, weil Adeimantos und Polemarch das Gespräch unterbrachen und in eine andere Richtung lenkten.
Jetzt aber noch einmal zurück zu unserem Text in [543 d, 544a] und dem Zusatz, der inhaltlich das ὡς διεληλυθώς fortsetzt: καὶ ταῦτα, ὡς ἔοικας, καλλίω ἔτι ἔχων εἰπεῖν πόλιν
„und dies, während/ obwohl du eine noch bessere Stadt nennen konntest/ <damals> hättest nennen können, wie es schien.“
Worauf sich diese Vermutung Glaukons stützt, ist mir unerfindlich. Hatte doch Platon in [449a] vier schlechtere Verfassungsformen angekündigt. Vielleicht hat Glaukon das nun am Anfang des 8. Buches nicht richtig in Erinnerung? Oder müssen wir übersetzen: „obwohl du <die> Stadt als noch bessere darstellen könntest“? Denn letzteres ist wird im Vergleich mit den schlechteren Formen das Ergebnis sein.
Welchen Namen kann man Platons Idealstaat geben?
Hierzu zitiere ich Platon selbst, und zwar die Zeilen, die am Ende des 4. Buches stehen und also dem zitierten [449a] unmittelbar vorausgehen. Hier nennt Platon seinen Idealstaat als die eine positive Staatsform, der vier schlechte Verfassungsformen gegenüberstehen:
καὶ μήν, ἦν δʼ ἐγώ, ὥσπερ ἀπὸ σκοπιᾶς μοι φαίνεται, ἐπειδὴ ἐνταῦθα ἀναβεβήκαμεν τοῦ λόγου, ἓν μὲν εἶναι εἶδος τῆς ἀρετῆς, ἄπειρα δὲ τῆς κακίας, τέτταρα δʼ ἐν αὐτοῖς ἄττα ὧν καὶ ἄξιον ἐπιμνησθῆναι. | Und wirklich, sagte ich, wie von einer Anhöhe scheint es mir, nachdem wir dorthin mit der Rede hinaufgestiegen sind, eine einzige Form der Tugend zu geben, unendliche aber der Schlechtigkeit und vier unter ihnen, die zu erwähnen auch (wert ist) lohnt. |
πῶς λέγεις; ἔφη. | Wie meinst du das? fragte er. |
ὅσοι, ἦν δʼ ἐγώ, πολιτειῶν τρόποι εἰσὶν εἴδη ἔχοντες, τοσοῦτοι κινδυνεύουσι καὶ ψυχῆς τρόποι εἶναι. | Wieviele Arten, sagte ich, von Verfassungen mit <ausgeprägter> Form es gibt, so viele Arten scheint es auch der Seele zu geben. |
πόσοι δή; | Wieviele denn? |
[445d] πέντε μέν, ἦν δʼ ἐγώ, πολιτειῶν, πέντε δὲ ψυχῆς. | Fünf, sagte ich, von Verfassungen, und fünf der Seele. |
λέγε, ἔφη, τίνες. | Er bat, sag <mir>, welche. |
λέγω, εἶπον, ὅτι εἷς μὲν οὗτος ὃν ἡμεῖς διεληλύθαμεν πολιτείας εἴη ἂν τρόπος, ἐπονομασθείη δʼ ἂν καὶ διχῇ· ἐγγενομένου μὲν γὰρ ἀνδρὸς ἑνὸς ἐν τοῖς ἄρχουσι διαφέροντος βασιλεία ἂν κληθείη, πλειόνων δὲ ἀριστοκρατία. | Ich sage, antwortete ich, dass <die> eine Art von Verfassung wohl diese, die wir erörtert haben, sein könnte, dass sie aber wohl auch doppelt benannt werden könnte; wenn nämlich nur ein Mann unter den Herrschenden sich auszeichnet, dürfte sie Königtum heißen, wenn aber mehrere Aristokratie. |
ἀληθῆ, ἔφη. | Das ist wahr, sagte er. |
τοῦτο μὲν τοίνυν, ἦν δʼ ἐγώ, ἓν εἶδος λέγω· οὔτε γὰρ ἂν [445e] πλείους οὔτε εἷς ἐγγενόμενοι κινήσειεν ἂν τῶν ἀξίων λόγου νόμων τῆς πόλεως, τροφῇ τε καὶ παιδείᾳ χρησάμενος ᾗ διήλθομεν. | Dass diese also, sagte ich, <die> eine Form ist, meine ich; denn weder mehrere noch ein darin (Entstandene<r>) Aufgewachsene<r> dürfte wohl an den erwähnenswerten Gesetzen der Stadt sich vergreifen, wenn er die Erziehung und Bildung bekommen hat, die wir erörterten. |
οὐ γὰρ εἰκός, ἔφη. | Das ist tatsächlich nicht wahrscheinlich, sagte er. |
Soviel zum in der Tat recht voraussetzungsreichen Einstieg in Politeia.8. Aber es wird leichter! Und ich wollte doch den Zusammenhang mit den ersten 7 Büchern einigermaßen erläutern.
Nächster Termin: 07.01.2023, ausnahmsweise um 15:00 Uhr bei Holtiegels
Ulf hat signalisiert, dass der Termin auch ihm passt. Vielleicht kommt Frau Netzer mit.
Vorbereitung: Für diesen Termin keine. Ich werde aber nach und nach die Vokabelliste erweitern.
Ich wünsche Euch frohe Weihnachten und einen guten Start in ein besseres Jahr!