pDem1.22-26 Protokoll zum 07.08 2022
Zeit: 10:00 -12:00 Uhr - Ort: online
anwesend: Caren Holger, Ulf, Friedrich
Wir begannen mit einigen Paragraphen Wiederholung, weil mein pädagogisches Gewissen schlug. Denn erst die Wiederholung führt zum vertieften Lerneffekt. Ohne das hätten wir die 1. Olynthische Rede abschließen können. Nun fehlen noch zwei Paragraphen. Aber schon Sokrates wusste, dass Lernen Wiedererkennen, Erinnern ist. Meine Bitte: Macht das bitte jedesmal gründlich, auch wenn ich während unserer Sitzungen in der Regel nicht darum bitte.
Übersetzung:
[22] ταῦτα γὰρ ἄπιστα μὲν ἦν δήπου φύσει καὶ ἀεὶ πᾶσιν ἀνθρώποις, κομιδῇ δ᾽, ὥσπερ ἦν, καὶ ἔστι νῦν τούτῳ. καὶ γὰρ Παγασὰς ἀπαιτεῖν αὐτόν εἰσιν ἐψηφισμένοι, καὶ Μαγνησίαν κεκωλύκασι τειχίζειν. ἤκουον δ᾽ ἔγωγέ τινων, ὡς οὐδὲ τοὺς λιμένας καὶ τὰς ἀγορὰς ἔτι δώσοιεν αὐτῷ καρποῦσθαι[1]· τὰ γὰρ κοινὰ[2] τὰ Θετταλῶν ἀπὸ τούτων[3] δέοι διοικεῖν, οὐ[4] Φίλιππον λαμβάνειν. εἰ δὲ τούτων ἀποστερήσεται τῶν χρημάτων, εἰς στενὸν κομιδῇ τὰ τῆς τροφῆς τοῖς ξένοις αὐτῷ καταστήσεται. | Denn diese sind allerdings nicht vertrauenswürdig, ihrer Art nach und immer schon für alle Menschen, und tatsächlich, wie sie <schon immer> waren, sind sie es auch jetzt für diesen. Sie haben nämlich auch beschlossen, ihm Pagasai abzufordern und sie haben verhindert, Magnesia zu befestigen. Ich jedenfalls hörte auch von einigen Leuten, dass sie ihm auch die Häfen und die Märkte nicht mehr zur Nutzung (der Abgaben) überließen, die Thessalier müssten nämlich die gemeinsamen Aufgaben damit bestreiten, Philipp dürfe sie nicht bekommen. Wenn er aber diese Gelder verlieren wird, wird die Versorgung für seine Söldner völlig in die Enge geraten. |
[23] ἀλλὰ μὴν τόν γε Παίονα καὶ τὸν Ἰλλυριὸν καὶ ἁπλῶς τούτους ἅπαντας ἡγεῖσθαι χρὴ αὐτονόμους ἥδιον ἂν καὶ ἐλευθέρους ἢ δούλους εἶναι· καὶ γὰρ ἀήθεις τοῦ κατακούειν τινός εἰσι, καὶ ἅνθρωπος ὑβριστής, ὥς φασιν. καὶ μὰ Δί᾽[5] οὐδὲν ἄπιστον ἴσως· τὸ γὰρ εὖ πράττειν παρὰ τὴν ἀξίαν ἀφορμὴ τοῦ κακῶς φρονεῖν τοῖς ἀνοήτοις γίγνεται· διόπερ πολλάκις δοκεῖ τὸ φυλάξαι τἀγαθὰ τοῦ κτήσασθαι χαλεπώτερον εἶναι. [24] δεῖ τοίνυν ὑμᾶς, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, τὴν ἀκαιρίαν τὴν ἐκείνου καιρὸν ὑμέτερον νομίσαντας ἑτοίμως συνάρασθαι τὰ πράγματα, καὶ πρεσβευομένους ἐφ᾽ ἃ δεῖ καὶ στρατευομένους αὐτοὺς καὶ παροξύνοντας τοὺς ἄλλους ἅπαντας, λογιζομένους, εἰ Φίλιππος λάβοι καθ᾽ ἡμῶν τοιοῦτον καιρὸν καὶ πόλεμος γένοιτο πρὸς τῇ χώρᾳ, πῶς[6] ἂν αὐτὸν οἴεσθ᾽ ἑτοίμως ἐφ᾽ ὑμᾶς ἐλθεῖν; εἶτ᾽ οὐκ αἰσχύνεσθε, εἰ μηδ᾽ ἃ πάθοιτ᾽ ἄν, εἰ δύναιτ᾽ ἐκεῖνος, ταῦτα ποιῆσαι καιρὸν ἔχοντες οὐ[7] τολμήσετε; | Aber gewiss sind der Paioner und der Illyrer und einfach diese alle, wie man wohl annehmen muss, lieber selbstbestimmt und frei als Sklaven. Denn sie sind nicht gewöhnt, jemandem zu gehorchen, und er ist ein rücksichtsloser Kerl, wie man sagt. Und beim Zeus <das> ist vielleicht nicht einmal unerwartet. Denn der Umstand, dass es einem entgegen seinem Verdienst gut geht, ist für unvernünftige Menschen der Anlass für böse Gesinnung; deswegen scheint oft das Bewahren des Guten schwierigen zu sein, als es zu erwerben. Ihr müsst also, Athener, seine ungünstige Lage als eure Gelegenheit begreifen und die Dinge bereitwillig aufgreifen. und Gesandte schicken, wozu es nötig ist, und selbst zu Felde ziehen und die anderen alle aufrütteln, und <folgendes> bedenken: wenn Philipp gegen euch eine solche Gelegenheit bekäme und Krieg wäre nah bei unserem Land, wie bereitwillig, meint ihr, würde er gegen uns ziehen? Da schämt ihr euch nicht, wenn ihr nicht einmal, ^das zu tun wagt^, was ihr wohl erlittet, wenn jener es könnte, °°, °°, obwohl ihr die Gelegenheit habt. |
[25] ἔτι τοίνυν, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, μηδὲ τοῦθ᾽ ὑμᾶς λανθανέτω, ὅτι νῦν αἵρεσίς ἐστιν ὑμῖν πότερ᾽ ὑμᾶς ἐκεῖ χρὴ πολεμεῖν ἢ παρ᾽ ὑμῖν ἐκεῖνον. ἐὰν μὲν γὰρ ἀντέχῃ τὰ τῶν Ὀλυνθίων[8], ὑμεῖς ἐκεῖ πολεμήσετε καὶ τὴν[9] ἐκείνου κακῶς ποιήσετε, τὴν ὑπάρχουσαν καὶ τὴν οἰκείαν ταύτην ἀδεῶς καρπούμενοι· ἂν δ᾽ ἐκεῖνα Φίλιππος λάβῃ, τίς αὐτὸν κωλύσει δεῦρο βαδίζειν; Θηβαῖοι; [26] μὴ[10] λίαν πικρὸν εἰπεῖν ᾖ— καὶ συνεισβαλοῦσιν ἑτοίμως. ἀλλὰ Φωκεῖς; οἱ τὴν οἰκείαν οὐχ οἷοί τε ὄντες φυλάττειν, ἐὰν μὴ βοηθήσηθ᾽ ὑμεῖς. ἢ ἄλλος τις; ἀλλ᾽, ὦ τᾶν, οὐχὶ βουλήσεται. τῶν ἀτοπωτάτων μέντἂν εἴη, εἰ ἃ νῦν ἄνοιαν ὀφλισκάνων ὅμως ἐκλαλεῖ, ταῦτα δυνηθεὶς μὴ πράξει. | Ferner also, Athener, überseht auch das nicht, dass ihr jetzt die Wahl habt, ob ihr dort Krieg führen müsst oder jener bei euch. Wenn nämlich die Olynthier Widerstand leisten, werdet ihr dort kämpfen und sein Land verheeren, wenn aber Philipp jene <Stadt> einnimmt, wer wird ihn hindern hierher zu kommen? Die Thebaner? Wäre es nicht allzu bitter, <das> zusagen: Sie werden bereitwillig mit einfallen. Aber, mein Lieber, er wird nicht <kommen> wollen. Zum Unsinnigsten dürfte es freilich gehören, wenn er, was er jetzt auf die Gefahr hin, für dumm gehalten zu werden, trotzdem verbreitet, nicht tun wird, obwohl er es kann. |
Im Einzelnen besprochen:
φυσει in [22] ταῦτα γὰρ ἄπιστα μὲν ἦν δήπου φύσει: Welcher Dativ ist das? Ulf bringt den Begriff dativus respectivus/respectūs ein. Gottwein führt dafür Beispiele wie κρίνειν τινὰ τοῖς λόγοις „jdn. nach seinen Worten beurteilen“ an. φύσει kommt bei Gottwein unter der Rubrik Dativus modi vor. Ich (ἔγωγε) plädiere nach wie vor für den Dativus causae „wegen ihrer Natur, von Natur aus“. Vielleicht ein Streit um des Kaisers Bart. Man sieht doch, wie nahe die Dative modi und causae zueinander stehen.
ταῦτα γιγνώσκω [19] mit Demosthenes-typischer Wb: „ich habe diese Einstellung/Meinung“
τὰ (τῶν) Θετταλῶν [21] = οἱ Θετταλοί, τὰ τῶν Ὀλυνθίων = οἱ Ὀλύνθιοι [25] erscheint ebenfalls Demosthenes-typisch zu sein.
Anakoluth in [24]: Auf λογιζομένους folgt mit dem neuen Haupt- als Fragesatz πῶς[11] ἂν ... οἴεσθε; eine neue Periode. Eigentlich müsste von λογιζομένους ein indirekter Fragesatz abhängen, der dann mit ὡς eingeleitet werden müsste: „wenn ihr bedenkt, … wie bereit er (nach eurer Meinung) … käme“.
μηδέ: enspricht οὐδέ „und nicht, auch nicht, aber nicht, nicht einmal“, steht aber als Verneinung in Bedingungssätzen [24] und beim Imperativ [25], genauso wie μή stat oὐ.
Enthymem: Ich habe den letzten Satz in [25] (in Erinnerung an meine weit zurückliegende Lektüre der Rhetorik des Aristoteles) Enthymem genannt, und zwar als eine verschlungene Gedankenkette. Der Wikipedia-Artikel macht’s genauer. Danach gilt aber auch hier: Es fehlt dem Satz die Prämisse „Jeder, der ausplaudert, was er Böses [das fehlt außerdem im Demosthenes-Satz] plant, ist dumm.“
Die Argumentationsstruktur bis hierher:
[1] Die Athener sollen vor einer Entscheidung alle Ratschläge bereitwillig anhören. (Captatio benevolentiae)
Der καιρός fordert von Athen, sich auf Krieg und Kriegskosten einzustellen:
[2] Demosthenes‘ Rat: Athenische Truppen und Gesandte nach Olynth schicken.
[3] Der verschlagene und zupackende Philipp
[4] … der als Alleinherrscher überall sein muss, kann aber Olynth nicht durch Verhandlungen gewinnen.
[5] Denn die Olynthier fürchten die Zerstörung der Stadt und trauen ihm nicht (Beipiele Amphipolis, Pydna).
[6] Also müssen die Athener sich jetzt auf Unterstützung Olynths mit Krieg und Kriegskosten einstellen.
Die Gunst der Götter ermöglicht Athen, seine alten Fehler auszubügeln:
[7] Nochmals der καιρός: Die Olynther sind jetzt sichere Bundesgenossen.
[8] Aus Untätigkeit verlor Athen 357 Amphipolis …
[9] und andere Städte, was Philipp groß gemacht hat. Jetzt aber ist der καιρός gekommen.
[10] Ein δίκαιος λογιστής wäre den Göttern für die neue gebotene Chance dankbar.
[11] Wie der bankrotte Verschwender vergessen auch die untätigen Politiker den Dank an die Götter für die
anfangs gute Lage. Aber die Götter gaben Athen noch eine Chance, seinen Ruf der Untätigkeit abzuschütteln.
Während Philipp erfolgreich heranrückt, verspielt Athen seine Vormacht.
[12] Wenn die Athener nicht handeln, wie der tatkräftige Philipp handeln würde, wird er bald gegen Athen vorrücken.
[13] Nach all den siegreichen Feldzügen (Aufzählung Städte) und nach seiner Krankheit greift Philipp nun Olynth an.
[14] Philipp wird bei allen Erfolgen nie mit dem Erreichten zufrieden sein und Ruhe geben..
[15] Athen wird es ergehen wie den verarmten Schuldnern und es wird am Ende Not leiden.
Heere auszurüsten und Finanzen dafür einzusetzen ist nötig.
[16] Demosthenes will seine Meinung ohne Furcht vor dem Demos äußern.
[17] Demosthenes Rat: 1.) Ein Heer zur Unterstützung Olynths und eines zum Angriff auf Makedonien aussenden.
[18] Begründung: So kann sich Philipp nicht auf Olynth konzentrieren.
[19] 2.) Die Kriegskasse aufstocken.
[20] Argumentation: In schwierigen Zeiten ist Verzicht/ sind höhere Beiträge nötig, wie auch immer erhoben.
Philipp ist an verschiedenen Orten mit Schwierigkeiten konfrontiert.
[21] Der Widerstand der Olynthier bringt ihn ungeplant in eine schwierige Lage.
[22] Die Thessalier sind nicht bereit, seine Kriegskasse aufzufüllen.
[23] Die Völker im Norden Makedoniens werden dsich in ihrem Freiheitsdrang Philipp nichct unterwerfen.
[24] Die Athener müssen diese Situation nutzen.
Der Preis für die Vermeidung von Krieg im eigenen Land muss bezahlt werden.
[25] Der Kriegsplan des Demosthenes für Olynth hindert Philipp, nach Athen vorzurücken.
[26] Die Thebaner und die Phoker würden ihn an seinem Vorhaben nicht hindern.
Nächster Termin und Ort: Sonntag, 14.08.22, 15:00 Uhr bei Holtiegels
Vorbereitung dazu: 1. Olynthische Rede zu Ende übersetzen. Und bitte auch wiederholen! Anfang von pDem9 (3. Philippische Rede), soweit Ihr mögt.
[1] καρποῦσθαι finaler Infinitiv „um die Erträge einzunehmen“
[2] τὰ κοινά
[3] ἀπὸ τούτων „von/ mit diesen (Erträgen)“
[4] οὐ …: Asyndese
[5] καὶ μὰ Δί᾽ erg. τοῦτο ἐστίν
[6] πῶς mit ἑτοίμως zu verbinden
[7] οὐ die Wiederholung der Verneinung nach μηδέ ist überflüssig und wird im Dt. nicht übersetzt. Sie wird verständlich, wenn das μηδέ nur auf das PC ἔχοντες bezogen gedacht
wird.
[8] τὰ τῶν Ὀλυνθίων = οἱ Ὀλύνθιοι
[9] τὴν erg. χῶραν
[10] μή lies [δέδοικα,] μή ...
[11] πῶς mit ἑτοίμως zu verbinden